«Publikum muss man auch umwerben»
Ute Haferburg, Intendantin des Theater Casino Zug, will das Publikum umwerben, unterhalten, aber auch herausfordern: mit sinnlicher Bühnenkunst, die zum Nachdenken und Debattieren anregt.
Text von Sabine Windlin
SW: Als Sie im August 2022 als neue Intendantin antraten, versprachen Sie, das Haus zu einem «kulturellen Hotspot» zu machen. Ist Ihnen dies schon gelungen?
UH: Der Weg zum kulturellen Hotspot ist ein Prozess, eine Vision, die in fünf Jahren Realität sein soll. Dazu gehört, dass wir unser Haus für ein breites, heterogenes Publikum öffnen und zu einem lebendigen Begegnungsort machen. Das bedingt eine Anpassung des Programms. Die Leute sollen erkennen, welchen Mehrwert ein Theater-Live-Erlebnis hat. Dazu gehört, dass wir in die Vermittlung investieren.
SW: Vermittlung klingt gut, aber auch etwas pädagogisch. Kann man nicht einfach Bühnenstücke zeigen, die man ohne vorgängige Erklärungen versteht?
UH: Ich gebe zu: der Begriff «Vermittlung» klingt didaktisch. Und ja: die Bühnenkunst soll für sich sprechen. Aber letztlich geht es darum, dass wir dem Publikum mit Einführungen, Workshops und anderen Formaten die Möglichkeit geben, mehr über die Entstehung oder die Hintergründe einer Produktion zu erfahren. Mit Infos aus erster Hand – von Regisseurinnen, Schauspielern, Dramaturgen, Autorinnen – schaue ich mir eine Produktion anders an, verstehe sie vielleicht besser und profitiere letztlich mehr. Durch Vermittlung möchten wir auch neue Publikumsschichten ins Haus holen, also Leute, die bis anhin nur selten oder gar nicht den Weg ins Theater gefunden haben. Publikum muss man auch umwerben.
SW: In den Medien wurden Sie als Hoffnungsträgerin bezeichnet. Schmeichelt das oder setzt Sie das unter Druck?
UH: Schöne Frage. Eine Hoffnungsträgerin zu sein, stimmt mich positiv und motiviert. Unter Druck setzt mich das nicht, denn es entspricht meiner eigenen Erwartung, das Theater Casino Zug als Mehrspartenhaus noch bekannter und populärer zu machen. Mir ist das eine Herzensangelegenheit.
SW: Im Casino herrscht immer Aufbruchstimmung. Die Intendanten kommen und gehen.
UH (lacht schallend!): Ich weiss um die Problematik der vielen Wechsel in jüngster Zeit. Ich bin aber gekommen, um zu bleiben, und habe nicht vor, den Bettel hinzuschmeissen, wenn Schwierigkeiten auftauchen. Ich will Pionierarbeit leisten und das Theater Casino Zug in eine neue Zukunft führen. Das mag pathetisch klingen, aber so ist es. Zusammen mit dem Team möchte ich das Potenzial des Hauses in seiner ganzen Breite ausschöpfen. Darum setze ich mich gerade sehr intensiv mit der Stadt, dem Kanton, dem Raum Zentralschweiz auseinander und pflege einen intensiven Kontakt zu den lokalen Kunstschaffenden. Ich will sie noch besser kennenlernen, um mit ihnen gemeinsam Projekte zu entwickeln. Sie sollen im Theater Casino präsent sein und sich im Rahmen von (Co-)Produktionen national oder international vernetzen können.
SW: Konzerte, Comedy, Schauspiel und Tanz werden auch künftig eine wichtige Rolle im Casino spielen. Was wird neu?
UH: Neu ist die Sparte «Junges Theater». Damit möchten wir die jungen Leute ins Casino holen. Das gleiche Ziel verfolgen wir mit neuen Angeboten für Schulklassen. Stärken möchte ich neben Schauspiel und Tanz auch Musiktheater, spartenübergreifende Theaterformen und das politische Kabarett. Das Casino soll ein Ort sein, wo man nicht einfach nur konsumiert, sondern wo gesellschaftliche Themen verhandelt werden: unterhaltsam, kritisch, sinnlich – je nach Format. Auch soll es Platz für Experimente geben, ohne dass man das Publikum vergrault.
SW: Sie sprechen das Schauspielhaus Zürich an, wo das Publikum in Scharen davonlief, sich nicht mehr willkommen fühlte.
UH: Hier kommen wir zum Thema Kommunikation. Ein Intendantenteam sollte grosses Interesse daran haben, den Draht zum Abonnentenpublikum nicht zu verlieren. In Zürich gab es hervorragende Produktionen und es wurde ein neues diverses Publikum aufgebaut, aber das traditionelle Publikum ging dabei zu grossen Teilen verloren. Im Theater Casino Zug darf dies nicht passieren. Der Austausch zwischen Publikum und Mitwirkenden – sei es vor oder nach einer Veranstaltung – ist da eine grosse Chance.
SW: Dazu gehört wohl auch die neue Reihe «Heimatklänge». Spätestens seit dem Erfolg des eidgenössischen Jodlerfestes in Zug ist klar: Traditionelles zieht!
UH: Neue Volksmusik ist bekanntlich schon länger hoch im Kurs. Denn sie ist zugleich traditionell und zeitgenössisch. Ich habe in diesem Bereich schon einige Projekte umgesetzt. In der Zentralschweiz ist die Volksmusik ein besonders grosses Thema und die Hochschule Luzern bietet hierzu sogar einen Studiengang an. Da können wir Volksmusik nicht einfach ignorieren. Mit Johannes Rühl, der lange das Festival Alpentöne in Altdorf künstlerisch geleitet hat, habe ich einen idealen Partner, der das Programm «Heimatklänge» in Zug kuratiert. Wir fangen mit einem gemeinsamen Anlass von «Traktorkestar» und dem «Echo vom Eierstock» an. Letzteres ist ein noch junger, feministischer Jodelchor aus Stans, der traditionelle Jodelmelodien singt, die Texte aber provokativ ins Jetzt adaptiert.
SW: Das Zuger Kulturpublikum, das etwas auf sich hält, brüstet sich gerne damit, Theater und Konzerte im grossstädtischen Zürich und nicht im provinziellen Zug zu besuchen. Ärgert Sie das?
UH: Überhaupt nicht. Ich gehe auch «fremd», bin oft in Zürich, Luzern, Basel und anderswo und hole mir da Inspiration. Schade wäre jedoch, wenn das Zuger Kulturpublikum das Theater Casino links liegen lassen würde. Denn es gibt bei uns gleichwertige hochkarätige nationale und internationale Produktionen, wie sie in Zürich, Luzern, Basel gezeigt werden. Wichtig ist, dass sich Zug zwischen diesen Städten gut positioniert. Eine Möglichkeit ist, uns noch stärker mit der Schweizer Theaterszene, die es darüber hinaus gibt, zu vernetzen. Auch hier sehe ich Potenzial.
SW: An der Fassade des Theater Casinos wehen zwei Fahnen: eine Schweizer Fahne und eine Zuger Fahne. Für ein Theaterhaus eher unpassend ...
UH: Guter Hinweis! Mich hat das auch irritiert. Nichts gegen diese Fahnen, sie wirken festlich. Aber sie senden ein falsches Signal aus. Das Theater Casino ist nicht Sitz der Zuger Verwaltung oder Regierung. Wir sind eine Kulturinstitution, und dies muss von aussen sichtbar sein. Darum werden ab September an der Fassade Theaterfahnen wehen.
SW: Letzte Frage: Ist Seesicht für eine Kulturinstitution, wie das Theater Casino eine ist, eigentlich ein Vorteil?
UH: Auf jeden Fall! Die Aussicht vom Foyer, vom Festsaal und Restaurant auf See und Berge ist einmalig. Ich kenne – abgesehen vom Théâtre Vidy-Lausanne, einem Bau von Max Bill – kein anderes Haus, das so sensationell gelegen ist wie das Theater Casino Zug. Wenn man im Sommer abends nach der Vorstellung gegen 21 Uhr ins Foyer tritt, schaut man direkt in den Sonnenuntergang. Grossartig! Auch deshalb wollen wir das Foyer künftig stärker bespielen. Es braucht allerdings noch einige Verhandlungen mit dem Brandschutz.